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Der Schweigsame

nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Der Schweigsame
Der Schweigsame

Es war einmal … so fängt normalerweise eine Geschichte an. Diese … war nicht, sie ist noch immer. Sie schreibt sich selbst solange er schweigt und staunt – doch bleibt sie ohne Dialog. Wer braucht es schon, das ständige Gerede? Oberflächliches, freundliches oder weniger freundliches Gelaber, das über peinliches Schweigen hinweghelfen soll oder weil wir die Stille zwischen den Menschen nicht aushalten können. Ist Schweigen dann Gold? Niemand wird es jemals erfahren, weil nur Leuten geholfen werden kann, die sich mitteilen. Aber was ist, wenn diese Mitteilung niemand hört im Trubel des Alltags? Das ist er der Schweigsame, der Zuhörer … der über den Lärm des Lebens hinhört …

Vor Jahren hat er damit angefangen, immer weniger geredet, nicht weil er nichts zu sagen hätte, sondern weil es ihm an Zuhörern gefehlt hat. Er war der Zuhörer. Der aktive Zuhörer, der interessierte, der nachfragende, der teilnehmende. Das konnte er schon immer gut und er hat es zur Perfektion gebracht. Es ist nicht so, dass er überhaupt kein Wort mehr hervorbringt. Nein, er kauft ganz normal ein, geht spazieren und plaudert mit den Nachbarn. Im Prinzip ist er ein stinknormaler Mann. Nicht ganz alt aber auch nicht mehr sehr jung. Mittlere Jahre könnte man sagen. Weder gut noch schlecht sieht er aus. Durchschnitt, wenn man so will. Er ist nett. Er ist unscheinbar.

Wer ist er?

Niemand kennt ihn wirklich. Er wohnt vor sich hin, geht seiner Arbeit nach und macht seinen Teil, damit die Gesellschaft funktionieren kann. Friedlich ist er. Zurückhaltend. Er ist nett. Unscheinbar. Eigentlich beachtet ihn niemand. Nicht einmal, wenn er sich ein Stück Brot beim Bäcker holt und höflich darum bittet, dieses auch mit akkurat abgezähltem Kleingeld bezahlt und sich dann ebenso höflich wieder verabschiedet. Er ist sehr freundlich.

Aber wer ist er?

Niemand weiß etwas über ihn. Sein Name? Den weiß keiner. An der Tür ist kein Schild zu sehen. Er ist der Herr von nebenan, der so gut zuhören kann. Nur wer schweigt, kann hören, was der andere sagt. Wenn er zuhört, ist er ganz bei seinem Gesprächspartner. Kein Gedanke schweift herum, wie es so manch andere Leute machen und nur höfliche Geräusche von sich geben. Der Schweigsame hört wirklich zu. Er rät nicht und sagt auch nicht seine Meinung. Zum Trost legt er einem die Hand auf die Schulter oder den Arm, streichelt vielleicht einmal darüber und wartet. Er kann gut schweigen und warten.
Wer ein Problem hat, geht zum Schweigsamen. Er hört zu, ohne Meinung, ohne Vorurteil und ohne Ratschlag, den niemand möchte. Er schweigt. Geduldig. Beharrlich. Am Ende hat ihm jeder alles erzählt und fühlt sich frei.

Und wer hört ihm zu? Seinem Schweigen? Seinen Gesten? Seiner Mimik?

Möchte er überhaupt, dass ihm jemand zuhört? Niemand weiß es, denn niemand hat ihn jemals danach gefragt. Schon als Kind war er eher zurückgezogen, galt als brav und lenkbar. Immerzu gehorchte er und tat nach dem Willen seiner Eltern, so munkelt man. Der Schweigsame, als den ihn heute alle kennen, wurde zu einem zurückhaltenden Mann, der niemals klagte oder sich beschwerte. Getreu den elterlichen Worten, erfüllte er täglich seine Pflichten, trank nicht, hurte nicht herum und wusste trotzdem über alles Bescheid. Schon damals, meinen manche Nachbarn, hätte er sonderbare Anwandlungen gehabt. Er schnüffelte nicht oder stöberte in den Geheimnissen der Nachbarn, im Gegenteil, er schien an allem uninteressiert. Und dennoch wusste er Bescheid.

Woher hatte er dieses Wissen?

Er riet nie oder tröstete. Allein seine Anwesenheit, das geduldige Ohr, das er einem lieh, gab einem das Gefühl, nicht allein zu sein. Sobald man ging, hatte man den Eindruck von Erlösung, Erleichterung zumindest hatte man seinem Ärger Luft machen können. Niemand wusste was er machte oder wie er es anstellte, dass sich jeder gut fühlte, der von ihm ging.

Und trotzdem haben die Leute auch Angst vor ihm. Damals wie heute. Er weiß zu viel. Viel zu viel. Erschreckend viel.

Und dann war es doch einmal … nur ein einziges Mal,

als ich erfuhr, dass er Gefühle hat, nicht innerlich tot und nur eine zuhörende Kleiderpuppe ist.

Noch heute bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich daran denke. Es ist ein beängstigendes Gefühl, wenn man jemanden ins Herz schaut, ihn zu erkennen glaubt, selbst wenn der Schein trügen mag und man sich irrt – ein Körnchen Wahrheit liegt oft in so einem ungewollten Blick.

Er saß auf einem Baumstamm am Anger vor dem alten Löschteich, dort wo die Enten schwimmen und sich die Jungen und Mädchen treffen. Spät am Abend war es bereits und es war dunkel. Niemand sonst war auf der Straße unterwegs. Es war so still wie es abends nur sein kann. Da saß er und im ersten Moment dachte ich, dort hätte sich ein Lumpensammler niedergelassen, auch wenn sie selten in unser Dorf kommen. Zusammengekauert saß er dort, sodass ich ihn nicht gleich erkannte, denn normalerweise war seine Haltung immer aufrecht und sein Blick geradeaus, direkt in die Seele oder das Herz der Menschen um ihn herum, ohne sich selbst ins Innere schauen zu lassen. Da saß er, das Gesicht unter den Händen verborgen und weinte wie ein Kind.

Was mich damals geritten hat, weiß ich nicht. Ich ging zu ihm hin und wollte ihn fragen was ihm denn fehlt. Doch kaum saß ich dort, verließ mich der Mut. Unverrichteter Dinge stand ich wieder auf und ging. Ich ging einfach fort, weil ich Angst vor der Antwort hatte. Bis heute fürchte ich sie … und die Einsamkeit, die von ihm ausging, diesem unerschütterlichen Felsen in unserer dörflichen Brandung, dem Helfer in der Not, dem lauschenden, gutgesinnten Ohr und den lächelnden Lippen, stets freundlich und wohlwollend.

Niemand würde mir glauben, wenn ich es sagte.

Der Schweigsame … sollte endlich reden. Aber wer wird ihn fragen? Ich Feigling hatte nicht den Mut dazu, diese eine Frage zu stellen, ihm mein Interesse an seiner Person zu zeigen. Ich hatte Angst und habe sie noch …

Wer fragt, bekommt Antworten.

Doch wer garantiert einem, dass die Antworten gut sind, dass sie einem gefallen und wohltun?

Wollen wir überhaupt Antworten?

Es waren einmal Antworten, die nicht kamen, weil es dazu keine Frage gab …

(c) Herta 6/2017
einfach nur *wow*
*blumenschenk*
Das
... sind die Geschichten unseres Lebens.

Danke,
ich glaube
Antworten zu wollen ist schon seehr mutig...

LG Alf
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