Arbeitsagentur
Auf dem Flur des 7. Stocks der Arbetisagentur habe ich einen richtig guten Platz.Wobei diese Aussage eigentlich schwachsinnig ist.
Von "guten Plätzen" kann man im Fußballstadion reden oder im Kino,
aber nicht in der Agentur für Arbeit.
Was mir an dem Platz trotzdem so gefällt, ist, dass ich eigentlich an der Schnittstelle zwischen 2 Fluren sitze, so dass ich beide perfekt einsehen kann.
Zu sehen gibt es neben still da sitzenden Wartenden eigentlich nicht viel.
Schon neulich hatte ich bemerkt, dass nicht mal irgendwelche Schilder den Weg anzeigen. Einzig neben den Türen sind die Zimmer bezeichnet.
Kein in den Flur hineinragendes Schild markiert Aufzug, Treppenhaus oder Toiletten. Was zur Folge hat, dass man unfreiwillig beginnt, in die Flure hineinzuirren, den Kopf suchend von links nach rechts wendend, jeden Namen , jede Zimmernummer lesend, auf der Suche nach was auch immer.
40 Meter ohne sichtbares Ziel, Tunnel von lichtschluckendem Braun und abgewetzten Grundschul-grün.
Und obwohl, vielleicht WEIL das Verirren jedem passiert, taucht manchmal eine Sachbearbeiterin aus einer offenen Tür auf, die einen plötzlich anspricht mit unangemessen lautem "kann ich Ihnen helfen?". Diese durchdringende Frage, in der ein Vorwurf mitschwingt, reißt einen aus der begonnenen Ver(w)irrtheit, doch statt sich gerettet zu fühlen, fühlt man sich ertappt, so als wäre man unerlaubterweise in einen heiligen Raum eingetreten, der nicht dafür bestimmt war.
Von meinem Platz aus kann ich die Flure nicht nur einsehen, sondern auch einhören. Wobei ich eigentlich nur die türkische Frau aus dem Zimmer schräg hinter mir höre, die mit ihren "kann isch nisch, will isch nisch" so ziemlich alles andere übertönt.
Und trotzdem ist es still. Bedrückend still... und etwas Komisches scheint mit der Zeit zu geschehen. Ich sehe es daran, dass nicht nur ich, sondern auch die anderen Wartenden, ca alle 30 Sekunden auf ihre Uhren oder Handys schauen. Bemüht, pünktlich zu sein, und nun wartend- scheint die Zeit nicht mehr weiter zu laufen.
"Agentur für Arbeit Zeit Vakuum". Ich würde gern ein Abhandlung von Albert Einstein dazu hören.
Agentur für Arbeit... müßte sie nicht eigentlich "Arbeitslosigkeitsagentur" heißen?
Aber Krankenschwestern und -pfleger heißen ja auch nicht mehr Krankenschwester und -pfleger, sondern Gesundheitspfleger. DIe Krankenkassen Gesundheitskassen.
Das Ziel wird benannt. Es heißt ja auch "Freudenhaus" und nicht "Notgeilenhaus" . Müßte die Schuldnerberatung dann nicht eigenltich "Liquidenberatung" heißen?
Mein Blick wandert zu einem zunächst undefinierbaren Objekt, dass durch eine Plane größtenteils verdeckt, an einer fest montierten Wandaufhängung hängt.
Nach sorgfältiger Betrachtung stelle ich fest, um was es sich handelt: eine Krankenbahre!
Vielleicht ist Vorschrift für solch große öffentliche Gebäude, eine Krankentransportliege im Repertoire zu haben... jedenfalls würde es die lautstarkt lamentierende Kundin hinter mir sicherlich beruhigen, dass für ihren komplikationslosen Abtransport gesorgt wäre, falls sie einen Schwächeanfall erleidet.
Ein Angestelllter tritt aus einer Tür- er ist groß, bärtig und schwer- und zu meiner Überraschung richtet er sich schwungvoll kerzengerade im Flur auf, schiebt sein Tshirt zwanzig Zentimeter nach oben, so dass sein behaarter, runder Bauch zum Vorschein kommt. Er greift in den Hosenbund und zieht Hose samt Gürtel kraftvoll ein paar Zentimeter höher, dann verschwindet der Bärbauch Gott sei Dank wieder unter dem Hemd.
Er tut das mit so einem Selbstbewußtsein und so wenig verschämt, dass es mich überrascht, er hält sogar Blickkontakt mit mir währenddessen.
Ich male mir aus, dass sein Büro so klein ist, dass es keinen Platz zum Auf- und Hose-Richten bietet.
Naja, jedenfalls denke ich darüber nach, ob der Innenarchitekt der Agentur für Arbeit wohl den Ruhm geerntet hat, der ihm gebührt.
Für mich hätte er auf jeden Fall einen Preis verdient.
Denn ihm ist es perfekt gelungen, den "spirit" dieser Institution im Ambiente widerspiegeln zu lassen:
Trotstlosigkeit.
Die abgewetze Säule , die an der Ecke zwischen den zwei Fluren steht, ist farblich fast angenehm Nasenschleim-gün.
Jedenfalls im Vergleich zum Kotze-farbenen Boden mit Kotz-Muster.
Man könnte tatsächlich ungesehen in einen Fleck von Irgendwas hineinlatschen.
Die Wände dagegen erinnern in ihrem halbsatten Senfgeld an die Skleren eines an Hepatitis dahinsiechenden.
Erstaunlich, wie durch wenige Minuten bloßes Hiersitzen all das auf einen abfärbt.
Verzweiflung und Resignation kriecht, wie unerwartete Kälte an einem überschätzen Frühlingstag durch zu dünne Kleider.
Jeder der an dem zweifelt, was er hat, sollte eine Weile hier sitzen.
Je nachdem, wie groß seine Unsicherheiten sind, wird es eine Weile dauern, aber dann wird ihm plötzlich die Brust eng werden und er wird aufspringen müssen, verzweifelt das Treppenhaus suchen, weil der Gedanke an die Enge des Fahrstuhls mit noch mehr Verzweifelten ihm die Luft raubt,
gejagt von dem inneren Bild, wie er, fixiert auf der Krankenliege, von orientierungslosen Rettungssanitätern auf der Suche nach dem Aufzug , durch die Gänge geschoben wird, um schlißelich im Büro des bärtigen Sachbearbeiters zu landen,
wird er, wie getrieben, die 7 Stockwerke hinunter laufen, er wird draußen vor dem Ausgang nicht stehen bleiben, wird noch ein paar Meter weiter laufen, bis er gierig tief einatmet und gen Himmel blickt.
De Luft wird ihm frischer vorkommen und das Licht strahlender als zuvor.
Seine Beine werden ihn voll neuer Energie dahintragen, wo er her gekommen ist, und das wird er- vielleicht- ein wenig anders sehen.
Liebe Undankbare,
spart Euch das Geld für Therapeut und Heilpraktiker, ihr braucht keine Achtsamkeitsmeditation und Geniesserteemischungen, das alles bekommt ihr, voll finanziert durch Steuergelder, in einer schwungvollen und garantiert wirksamen Dosis- in Eurer Agentur für Arbeit.
